PbtA – was ist das denn wieder?

von Florian

Auf Spielen in Vierkirchen geht es seit zehn Jahren um Brett- und Kartenspiele. Seit etwa 18 Monaten spiele ich allerdings vermehrt Pen-and-Paper-Rollenspiele. Von Vierkirchen aus, via Discord. Und ich schreibe in diesem Blog darüber.

Da ich vermute, dass die meisten unserer Stammleser von der Brettspielseite kommen und bestenfalls mit traditionellen Rollenspielen vertraut sind, möchte ich heute einmal eine moderne Rollenspiel-Familie vorstellen: die PbtA-Spiele.

Nebenbei bemerkt, keine Sorge: Nicole und ich spielen weiterhin auch Karten- und Brettspiele und werden in gewohnter Unregelmäßigkeit davon berichten.

Angetrieben von der Apokalypse

Im Anfang war die Apokalypse, genauer gesagt ein Rollenspiel namens Apocalypse World von Vincent Baker. Spiele, die seine Mechaniken und Prinzipien aufgreifen, bezeichnen sich oft schon selbst als „Powered by the Apocalypse“, kurz PbtA.

Ich werde einige dieser Mechaniken und Prinzipien anhand von zwei Beispielen erklären. Ich gehe weder systematisch noch erschöpfend vor, sondern erzähle aus eigenen (aber natürlich limitierten) Erfahrungen. Meine beiden Beispielsysteme sind Dungeon Word (von Adam Koebel und Sage LaTorra, 2012) und The Between (von Jason Cordova, 2021).

In vielen PbtA-Spielen würfeln nur die Spieler, und immer mit zwei sechsseitigen Würfeln. Sie zählen Modifikatoren hinzu oder ziehen sie ab. Es gibt mindestens drei mögliche Ergebnisse:

Ein Misserfolg tritt für gewöhnlich bei einer Summe von 6 oder weniger ein. Die Aktion schlägt möglicherweise fehl, jedenfalls aber stößt den Hauptfiguren der erzählten Geschichte etwas Schlimmes zu.

Eine Summe zwischen 7 und 9 bedeutet einen Teilerfolg: Die Aktion gelingt, aber die nächste Bedrohung deutet sich schon an. Nur wenn das Ergebnis 10 oder mehr beträgt, hat die handelnde Figur einen vollen Erfolg erzielt und kann einen Moment durchschnaufen.

Diese auf den ersten Blick banale Würfelkonvention besitzt einen hohen Wiedererkennungswert. Außerdem prägt sie die gemeinsame Erzählung. Das häufigste Ergebnis ist der Erfolg mit Komplikation. Dadurch wird die Geschichte einem Film oder Roman ähnlicher: Kaum löst die Gruppe ein Problem, tut sich schon das nächste auf.

Spielzüge als Regelmodule

Einzelne Spielzüge variieren diese Mechanik. Sie fügen dem Prinzip etwas Spezifisches hinzu.

In einem Fantasy-Rollenspiel wie Dungeon World gehören Kämpfe mit Monstern zum Genre. Dungeon World hat daher mehrere Spielzüge für solche Aktionen. Einer heißt Hauen und Stechen, ein anderer Verteidigung und ein dritter namens Salve abgeben regelt Fernkampfangriffe. Sie legen fest, wann Spielfiguren Schaden verursachen, Munition verlieren oder auch Schaden nehmen.

The Between ist ein Spiel über Monsterjäger im viktorianischen London. Es hat keine spezifischen Spielzüge für Kämpfe, wohl aber für das Sammeln von Informationen, das Aufstellen einer Theorie auf Basis der erhaltenen Hinweise oder auch das Bannen von Geistern.

The Between - Figurenblatt The American mit Würfeln

Spielzüge sind also Regelmodule. Manche erfordern Würfe nach dem genannten Schema. Andere definieren ganz ohne Einfluss des Zufalls neue Regeln. Immer dienen sie dazu, das Genre zu verstärken.

Spielzüge können für alle Figuren verfügbar sein oder nur für bestimmte. Jeder kann Verteidigen oder Gefahr trotzen. Nur die Druidin kann sich in Dungeon World vorübergehend in ein Tier verwandeln. Nur die „Mother“ (ein von Dr. Frankenstein inspirierter Wissenschaftler) kann in The Between Leichenteile sammeln und zu einem artifiziellen Lebewesen zusammenfügen.

Die Spielerinnen finden die Spielzüge ihrer Figur üblicherweise auf dem Figurenblatt selbst aufgedruckt. Spielhilfe und „Charakterbogen“ sind also eins.

Natürlich haben auch traditionelle Rollenspiele klassenspezifische Fähigkeiten. Die Spielzüge in PbtA-Spielen verändern die Erzählung aber stärker, lösen etwa in The Between ganze Szenen aus.

Die Rolle der Spielleitung

Durch ihre Spielzüge tragen die Spieler mehr zum Geschehen bei. Anders als traditionelle Spiele benötigen PbtA-Spiele keine vorbereiteten Abenteuer. Insbesondere Module mit festem Plot lassen sich mit PbtA-Systemen nur schwer spielen, da es an Flexibilität fehlt.

Das heißt aber nicht, dass PbtA-Spiele nicht von Vorbereitung profitieren. Ich persönlich bereite mich gern auf Rollenspiel-Sessions vor und bin überzeugt, dass diese davon profitieren.

Letztlich braucht diese Spielweise eine andere Vorbereitung, nämlich Elemente, die flexibel in die Geschichte hineinpassen. Zum Beispiel simple Listen von Zwischenfällen oder Hinweisen und Gerüchten.

Merkwürdige Nichtspielerfiguren und spannende Schauplätze sind weiterhin gefragt. Nur sollte die Spielleitung nicht vorab festlegen, wer wann an welchem Ort ist. Und wenn die Spielerinnen einen Bäcker aufsuchen, man aber einen skurrilen Gerber vorbereitet hat, treffen sie eben einen Bäcker mit den Eigenschaften und Marotten des Gerbers.

Auch formal definieren PbtA-Spiele die Rolle der Spielleitung als eine besondere. Angefangen damit, dass sie nicht würfelt.

Die Spielleitung hat eigene Spielzüge. Ist sie am Zug, weil eine 6- gefallen ist oder alle Spielenden zu ihr schauen und wissen wollen, was als nächstes passiert, führt sie einen davon durch: einen Konflikt andeuten, eine Dilemma beschreiben oder eben schildern, wie Nichtspielerfiguren ihrem jeweiligen Ziel näher kommen.

Neben Zügen geben viele PbtA-Spiele der Leitung wie den Spielenden auch Prinzipien an die Hand. Für die Spielleitung gilt in The Between, dass sie die Welt und alle Menschen in ihr möglichst real wirken lassen und ein Fan der Spieler sein soll. Folglich wird sie ihnen schwere Hindernisse in den Weg stellen, auf dass sie zu wahren Heldinnen werden – oder glorreich untergehen.

Die Prinzipien von The Between gehen aber noch weiter. Die Spielleitung wird aufgefordert, die am Tag spielenden Szenen freier laufen zu lassen und in der Nacht die Zügel straffer anzuziehen. Horror und Monstren aber soll sie möglichst sachlich schildern.

Das sind keine nervigen Einschränkungen, sondern Tipps zum Ablauf des Spiels, klar und eindeutig formuliert als Prinzipien. Gerade durch solche Konzentration auf die praktische Umsetzung am Tisch, die Aufgabenverteilung und den Dialog, hat PbtA die Spielkultur nachhaltig verändert.