Das Wetter der letzten Tage
von Florian
Im Regen gestanden
Am Sonntag gegen halb vier Uhr nachmittags überfällt Nicole und mich erstmals der Gewitterregen. Etwa 300 Meter vor uns eine Kirche, die wir routiniert mit unseren Rädern ansteuern. Leider geschlossen, aber wir drücken uns ins Portal, und – o Wunder – neben dem Portal liegt ein Regenschirm, der uns zusätzlich vor den dicken Tropfen schützt.
Wir sind auf dem Rückweg nach Vierkirchen, via Kaufbeuren, wo wir vielleicht zwischenübernachten wollen. 10 Kilometer haben wir seit dem Ende eines Spielewochenendes in Kempten erst zurückgelegt. Kein Wunder, dass wir die Zeit für einen ersten Rückblick nutzen. Ich erzähle noch einmal von meiner Anreise vier Tage zuvor, meinem Sonnenbrand und der Ankunft in der Jufa Kempten.
An der Rezeption haben sie mir gesagt, die Schlüssel hat alle Organisator Thorsten, und der ist gerade beim Kaffeetrinken. War mir nicht unrecht, Kuchenhunger und Kaffeedurst hatte ich. Allerdings war ich noch vom Radeln verschwitzt und von kleinen Insekten umkreist, als ich mich zu Heiko, Peter, Thomas und Thorsten gesellte.
Nach dem Duschen spielte ich Royal Goods mit Peter und Thorsten – und nach den neuen Regeln, die mehr Strategie versprechen. Tatsächlich gewann Peter, der die beste Produktionskette hatte. Zur Überbrückung trat ich anschließend gegen Peter in dem einfachen Konfliktsimulationsspiel Test of Fire an, das ich trotz Würfelglücks nach einer Dreiviertelstunde in aussichtsloser Position aufgab.
Den Rest des Abends bestritten wir mit dem nicht uninteressanten, aber zumindest für mich ziemlich verwirrenden City of Iron. Peter: „Das geht bestimmt viel schneller und macht viel Spaß, wenn alle es erst mal können.“ Ich: „Das Problem ist nur: Wie viele Spiele hast Du im Schrank, die reizvoll wären, wenn man sie fünf- bis zehnmal in gleicher Besetzung durchspielen würde?“ Peter nickte.
Am nächsten Morgen gab es ein Roll for the Galaxy, und während Funkenschlag bist Du dann ja gekommen.
Zweiter Anlauf
Inzwischen hat der Regen fast aufgehört. Wir hoffen auf die Rückkehr der Sonne und schwingen uns auf die Räder. Wenige Hügel weiter beginnt es erneut zu schütten. Wir setzen unseren Rückblick in einer kleinen Hütte fort, deren Tür fehlt und die nur noch von Spinnen genutzt wird. Nicole berichtet, wie sie als erstes Dietmar Roll for the Galaxy beibrachte und gleich mal verlor. Meine Antwort:
Ja, schon 2014 in Nördlingen haben sie mir gesagt, dass Dietmar jedes Spiel gewinnt, aber damals wollte ich es nicht recht glauben. Diesmal hab ich es gesehen, er hat ja auch gegen mich in Roll for the Galaxy gewonnen, in Mombasa ohnehin, und selbst in Codenames war er gut. Verloren hat er nur einmal im kooperativen Warhammer Quest, also zusammen mit allen anderen. Das hätte ich übrigens gerne mitgespielt, aber dann war ich grade in einer anderen Partie, als eine Runde startete.
175 Punkte hatte er in Marco Polo, habe ich mir sagen lassen. Das würde ich auch gern mal erreichen. Martin war stolz auf seinen zweiten Platz, bei dem er nicht von Dietmar überrundet wurde. Selbst ein 7 Wonders ist anscheinend für alle unberechenbar, nur für Dietmar nicht.
Baden gegangen
Da die schwarzen Wolken sich nicht verziehen wollen, beschließen wir, den nächsten Bahnhof anzusteuern: Günzach, die erste Station hinter Kempten. Gerade einmal 20 Radkilometer entfernt. Geschoben vom Gewitterwind erreichen wir den nüchternen Bahnhof und ziehen samt Rädern in einen kahlen Wartesaal ein, um über die Kemptener Unterkunft und weitere Partien zu sprechen.
Dass die Jufa ans Bad grenzt und der Eintritt jeden Tag frei, ist schon wirklich super, auch wenn wir nur zweimal schwimmen waren. Trotz des schönen Wetters. In die Stadt haben wir es gar nicht geschafft. Wir Banausen!
Aber es stimmt, dafür haben wir viele neue Spiele kennengelernt. Between Two Cities fand ich witzig, zumindest für einige Partien dürfte der Reiz halten. Wir optimieren eine vier mal vier Plättchen große Siedlung, wie in Cities, aber immer einem mit dem linken und eine mit dem rechten Nachbarn zusammen. Das ist doch mal ein origineller Dreh für das Take-It-Easy-Genre, das mit Karuba immerhin erneut auf der Nominierungsliste für Spiel des Jahres vertreten ist. Grafisch fand ich Between Two Cities zwar klar, aber wenig ansprechend.
Hansa Teutonica habe ich jetzt zum zweiten Mal gespielt, das hat sich in Spielerkreisen offenbar wirklich auf Dauer durchgesetzt, wie Carsten meinte. Für zwei soll es nicht so gut sein, ist ja auch eine Art Mehrheitenspiel – sonst würde ich es mal auf den Einkaufszettel setzen. Und schön auch, dass wir mal Among Nobles spielen konnten, das schon in Ruppertshofen 2015 beliebt war. Ich finde das Prinzip adeliger Stammbaum-Pflege charmant umgesetzt. Die von der Spielbox beanstandeten historischen Schwächen haben mich auf Anhieb nicht irritiert.
Donner folgt auf Blitz
Die Bahn kommt so pünktlich, wie der Donner auf den Blitz folgt. Das Radabteil im Regionalexpress ist leer. Der Schaffner rügt uns, wir hätten ja ein schönes Wetter mitgebracht. Wir zweifeln an unserer Schuld. Wetter Online meldet Gewitterwarnungen der höchsten Stufe in Bayern und dem Osten Baden-Württembergs. Die Fahrt nach München nutze ich für eine längere philosophische Erörterung eines Spielegenres, das mich derzeit besonders beschäftigt: komplexe Kartenspiele mit viel Text.
Wenn man die zwei Vertreter dieses Genres mischt, die wir in Kempten gespielt haben, nämlich das Game-of-Thrones-Kartenspiel und Nebel über Valskyrr, kommt ungefähr mein aktuelles Lieblingsspiel heraus: das Herr-der-Ringe-Kartenspiel. Allen ist letztlich ein enormer Aufwand für die Einarbeitung gemeinsam. Beim Herrn der Ringe mache ich nach mehr als 30 Partien noch Fehler, etwa weil ich den Text irgendeiner ausliegenden Karte übersehe und also nicht berücksichtige. Und die beiden Spiele von Thomas haben uns auch erstmal ganz schön gefordert. Man muss die Karten ja nicht nur lesen, sondern die Schlüsselwörter und Terminologie lernen, die Phasen des Spiels kennen, um zu wissen, wann man seine Fähigkeiten am besten einsetzt.
Um Game of Thrones ernsthaft zu spielen, bräuchte es meiner Meinung nach die größte Investition an Zeit. Schließlich müsste man neben den eigenen Karten auf der Hand und in der Auslage auch die aller Mitspieler zumindest grob kennen. Nach etwa zehn Partien könnte das wirklich interessant werden. Dagegen sind Valskyrr und Herr der Ringe kooperativ, und ein großer Teil des Spiels besteht letztlich darin, sich abzusprechen und den anderen die eigenen Fähigkeiten nahezubringen.
Der große Aufwand lohnt sich, weil die individuellen Texte und Effekte der vom Spiel erzählten Geschichte Tiefe verleihen. Unsere Partie von Game of Thrones war wirklich wie eine alternative Version der Romane. Ich spielte Haus Baratheon; als mein Anführer Stannis starb, war das ein das komplette Spiel prägendes Ereignis, eine Wende. Und das durch eine Spielmechanik: Plötzlich konnten wieder alle statt nur zwei Karten am Rundenende reaktiviert werden.
Zugleich denke ich, dass es sich kaum lohnt, mehrere Spiele dieser Art parallel zu spielen. Am besten eines anschaffen, wie wir es ja mit Herr der Ringe haben, und das wiederholt auf den Tisch bringen, um die Regeln im Kopf zu behalten.
Für uns dürfte Herr der Ringe sogar die beste Wahl sein, weil kooperativ und optimal mit zwei Spielern. Du sagst, Game of Thrones wäre Dir zu konfliktreich. Und mir wäre es mit mehr als zwei Spielern zu unübersichtlich. Mit der Zahl der Spieler steigt schließlich auch die Zahl der Karten. Das würde ich bei Valskyrr kritisieren: Ich finde weniger und dafür stärkere Monster interessanter.
Mir gefallen alle drei Spiele gut. Dass sich die Kennenlernpartie ein wenig zieht, muss man bei dem Genre hinnehmen. Immer noch besser als etwa ein Im Wandel der Zeiten mit 27 Stunden Bruttospielzeit. In einem Vergleich würde ich Valskyrr auf den dritten Platz setzen, weil es für meine Begriffe die schwächste Geschichte hat.
Bier und Brezelstangen
Kurz vor München erwacht die während meines Vortrags weggedöste Nicole. Wir erwägen, in Pasing auszusteigen und nach Obermenzing hinüberzuradeln, was das Umsteigen erleichtern und die Fahrtdauer etwas verkürzen würde. Da wieder einmal Platzregen einsetzt, verwerfen wir diese Überlegungen und bleiben bis zum Hauptbahnhof sitzen.
Dort profitieren wir ausnahmsweise von Bauarbeiten. Unsere S-Bahn fährt vom Nebengleis statt im Tiefgeschoss – mit schwer bepackten Fahrrädern ein großer Vorteil. In der Bahn kommen wir auf unsere Bier-und-Brezel-Kartenspielrunde zu sprechen, zusammen mit Carsten und Peter.
Die beiden haben ja zuvor immer ihre 18XX-Spiele gespielt. Hast Du mal in den Raum hineingeschaut? Sah aus wie eine Konferenz in der Firma, mit Beamer, alle starren aus die Leinwand, ein Brett hatten sie glaube ich gar nicht. Auch der Schienenbau passierte in der App. Es muss wohl was dran sein an diesen Spielen, aber ich spiele vorerst lieber ohne Rechner.
Jedenfalls hatte ich bei den anschließend zur Erholung anberaumten Kartenspielen meine wenigen Erfolgserlebnisse. Abluxxen hab ich gewonnen, ein Tichu nach dem anderen durchgebracht, und Ihr wart im Negativen, als Peter und ich die 1000 Punkte erreichten. Ha! Nur beim Schafkopfen mit verkürztem Kartensatz, mit Siebenern statt Neunern, habe ich erst ein kleines Vermögen gewonnen und dann ein größeres verspielt. Zum Glück ging es nur um Punkte.
Schafkopf hatte ich seit Jahren nicht mehr gespielt. Ich finde, im Rahmen eines solchen Wochenendes mit erfahrenen Brettspielern macht es sich ganz anders als im Biergarten mit Leuten, die nie etwas anderes spielen. Carstens Ausspruch werde ich in Erinnerung behalten: „Jetzt weiß ich, wie man beim Schafkopfen Erster wird, man gewinnt einmal ein großes Solo und spielt den Rest der Zeit so vor sich hin.“ Ob ich aber Peters Strategietipps verinnerliche, weiß ich nicht. Er hat sich ja selbst nicht immer dran gehalten. Und auch damit hatte er meistens Recht.
Mit Hansa Teutonica am einen Abend und Splendor am anderen folgte ja jeweils noch ein ordentliches Spiel. Da konnte man noch mal zeigen, dass man auch was anderes als karteln kann. Ich wurde in beiden Letzter.
Die S-Bahn fährt in den Bahnhof Vierkirchen ein. Nicole sieht hinaus: „Der Bahnsteig ist trocken. Hier hat es noch gar nicht geregnet!“ Das ändert sich, sobald wir den Zug verlassen. Platzregen setzt ein. Auf einigen hundert Metern werden wir bis auf die Haut nass. Der Schaffner hatte Recht: Wir sind es, die das schlechte Wetter mitbringen. Und in Kempten, die vier Tage Sonne? Die muss Thorsten organisiert haben.
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