„Halma ist ein dämonisches Spiel“

von Florian

Am 27. Oktober 2014 wäre der walisische Dichter Dylan Thomas 100 Jahre alt geworden, wenn er sich nicht schon vor 61 Jahren zu Tode gesoffen hätte. Kaum bekannt ist, dass Thomas einige Wochen seines kurzen Lebens intensiv Brettspiele spielte, wie sich seinen Collected Letters entnehmen lässt. Sogar eine Kritik einer damaligen Spieleneuheit ist in den Briefen des Dichters zu finden – wenn sie sich auch auf einen einzigen Satz beschränkt.

Die Episode begann kurz vor Weihnachten 1938. Ein Freund, Vernon Watkins, erkundigte sich in einem Brief, ob Dylan und seine Frau Caitlin denn ein Monopoly-Spiel besäßen. Thomas schrieb zurück:

Ja, wir haben ein Monopoly. Anscheinend hat der Hersteller von Monopoly ein neues Spiel herausgebracht, das Families heißt. Es geht ums Altern, und das Ziel ist, nicht zu sterben.

Watkins schenkte daraufhin der Familie Thomas zu Weihnachten eine Spielesammlung, die in den Briefen als „Compendium“ bezeichnet wird. Mit Euphorie stürzten sich Caitlin Thomas, die im achten Monat schwanger war, und ihr dichtender Ehemann in diese Welt. In einem Dankesbrief an Vernon Watkins heißt es:

Das Compendium ist wunderbar. Wir spielen der Reihenfolge nach alle Spiele. Halma ist ein dämonisches Spiel, aber eines namens Winkle’s Wedding ist zu kindisch, es klingt wie ein Kettengedicht für Halbwüchsige.

Kettengedichte und Kooperationen konnte Thomas nämlich gar nicht leiden. Für ihn war Lyrik kein Spiel, sondern schwere Arbeit. Ebenfalls im Dezember 1938 lehnte er eine Einladung zu einem solchen Projekt ab:

Ich glaube, dass ein Dichter heutzutage oder an jedem anderen Tag höchst angenehm damit beschäftigt ist, seine eigenen Gedichte so gut zu machen, wie er es vermag. Bei allem gebotenen Mangel an Respekt, ich halte solche Kettengedichte für ein prätentiöses, faules Spiel.

Halma: Vernon Watkins, Dylan und Caitlin Thomas

Seine wohl einzige Spielekritik verfasste Thomas dann im Januar 1939, ebenfalls in einem Brief an Watkins. Darin fordert er auch von Brettspielen eine gewisse Ernsthaftigkeit:

Wir spielen immer noch mit dem Compendium & sind jetzt die sehr enttäuschten Besitzer eines nagelneuen Exemplars von Milestones, einer kindischen Mischung aus Ludo und Happy Families & ganz ohne den subversiven, ernsten Charme von Monopoly. Eine Dame hat es uns geschenkt – also gut, dass Du es nicht gekauft hast.

Milestones scheint heute vergessen. Ludo oder Ludi ist vor allem als Pachisi und in Deutschland als Mensch ärgere dich nicht bekannt. Und zu Happy Families liefert Boardgamegeek Informationen, die sogar für Dylan-Thomas-Forscher interessant sein könnten. Diese Quartett-Variante von 1851 stellte nämlich jeweils aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter zusammengesetzte Familien mit sprechenden Nachnamen vor. Der Bäcker hieß Mr Dough (Herr Teig), der Arzt Mr Pill (Herr Pille) und der Schreiner Mr Saw (Herr Säge). Das lässt an einige Bewohner des walisischen Dorfs Llareggub in Thomas‘ letztem Werk denken, dem Hörspiel Under Milk Wood (1953). Der Bäcker etwa trägt dort den Namen Dai Bread: Dai ist eine walisische Kurzform von David, in Dai Bread klingt aber auch das „daily bread“, das „tägliche Brot“ aus dem Vaterunser an.

Allerdings verbrachte Dylan Thomas nicht den ganzen Januar 1939 mit Spielen. Unter anderem reiste er für zwei Tage nach London, wo er sich mit den amerikanischen Schriftstellern Lawrence Durrell und Henry Miller traf. Nach eigener Aussage kehrte er als „Wrack“ von „unserem Weg durch die schäbigen Saloons von London“ zurück.

Ende Januar brachte Caitlin Thomas dann den ersten Sohn Llewellyn zur Welt. Von weiteren Brettspiel-Aktivitäten des Paares ist nichts bekannt. In memoriam wird beim nächsten Vierkirchner Spieleabend, am 3. November, ein Halma-Spiel bereitliegen.